Nein, ist sie nicht. Die Angst vor „Russland“ reicht mindestens bis in die Zeit des tsarischen Russlands zurück. Die Wurzeln dieser Ängste liegen sicherlich bereits in den Auseinandersetzungen Preußens mit Russland im 18. und 19. Jahrhundert, fußen heute aber hauptsächlich auf Erinnerungen aus dem 20. Jahrhundert. Die heutigen Ängste sind ein Spiegel des Umgangs mit der Geschichte des Ersten Weltkriegs, des Zweiten Weltkriegs und des Kalten Kriegs, die im kollektiven Gedächtnis tief verankert sind. In allen drei Konflikt- und Kriegslagen spielte das Russische Reich oder die Sowjetunion eine Schlüsselrolle.
Die Niederlage der deutschen Wehrmacht an der „Ostfront“ und die darauf folgende Besetzung eines großen Teils des Deutschen Reichs machte die Macht der Sowjetunion erfahrbar und schürte die Angst vor ihrer militärischen Überlegenheit. Diese Angst und die Bedenken gegenüber der Sowjetunion wurde zudem oftmals durch die sehr lange Kriegsgefangenschaft deutscher Soldaten nach dem Zweiten Weltkrieg verstärkt. Als besonders prägend dürfte sich auch die erste Besatzungszeit ab 1945 ausgewirkt haben, in der zahlreiche Vergewaltigungen durch alliierte Soldaten begangen wurden, wobei sich die Taten der Roten Armee ganz besonders tief einbrannten.1
Besonders das „Russland“-Bild aus der Zeit des Kalten Kriegs ist vielen Menschen noch im Gedächtnis. Die Rolle der Sowjetunion war in dieser Zeit oftmals klar besetzt: Im Wettstreit der Supermächte nahm sie oftmals den Gegenpart zu den Vereinigten Staaten von Amerika ein.2 An dieser Stelle kann wirklich von den häufig verwendeten Kategorien der „guten“ und „schlechten“ Seite gesprochen werden, von Freund und Feind. Angst wurde oftmals durch Krisen verursacht, die zwischen beiden Lagern entstanden. Diese Ereignisse sind noch hinlänglich bekannt: Die „Kuba-Krise“ 1962 und natürlich die Berlin-Krisen 1948/1949 (Stichwort Berliner Luftbrücke) bzw. 1958–1963 (Stichwort Chruschtschow-Ultimatum) sind bis heute vielen Menschen ein Begriff. Im Gegensatz zu den USA, denen gegenüber gemeinhin keine Angst artikuliert wird und wurde, sind auch Ereignisse wie die Niederschlagung der Proteste in Ungarn (1956) und der DDR (1953) sowie das blutige Ende des „Prager Frühlings“ (1968) tief mit der allgemeinen Angst vor einer militärischen Intervention sowjetischer Truppen verknüpft. Andere Phänomene, wie die atomare Abschreckungspolitik erstreckten sich auf beide weltpolitischen Lager3 und trugen daher weniger spezifisch zur Angst vor der militärischen Macht der Sowjetunion bei. Dass besonders die Erinnerung an den Kalten Krieg und die damit verbundenen Stereotypen heute immer noch präsent sind und fast nahtlos an die 1950er und 1960er anknüpfen, zeigen Sätze wie: „Der Feind steht wieder im Osten“4 oder „Aufrüstung – Der neue Kalte Krieg.“5
Weitere Literatur:
Kuba Krise, https://www.hdg.de/lemo/kapitel/geteiltes-deutschland-gruenderjahre/kalter-krieg/kuba-krise.html
Berlin Krise, http://www.bpb.de/apuz/33186/chruschtschow-ulbricht-und-die-berliner-mauer?p=all